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Guam

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„Ein leichter Windzug […] wehte uns vom schön bewaldeten Ufer Wohlgerüche zu, wie ich sie in der Nähe keines anderen Landes empfunden habe. Ein Garten der Wollust schien diese grüne, duftende Insel zu sein, aber sie war eine Wüste. Kein freudiges Volk belebte den Strand, kein Fahrzeug kam von der Isla de las velas latinas uns entgegen. Die römischen Missionare haben hier ihr Kreuz aufgepflanzt; dem sind 44.000 Menschen geopfert worden, und deren Reste, vermischt mit den Tagalen, die man von Lucon herüber gesiedelt hat, sind ein stilles, trauriges, unterwürfiges Völklein geworden, das die Mutter Erde sonder Mühe ernährt und sich zu vermehren einladet.“ So beschrieb Adelbert von Chamisso vor 200 Jahren seine Ankunft auf der Insel Guam, der südlichsten und größten  Insel der westpazifischen Inselgruppe der Marianen, in der Nachbarschaft des mit ca.11 000m tiefsten Meeresgrabens.

Durch den eskalierenden Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten mit ihrem großmäuligen Präsidenten und dem ebenfalls um keine vollmundige Drohgebärde verlegenen nordkoreanischen Diktator ist dieses abgelegene Eiland plötzlich ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit gerückt. Deshalb möchte ich hier einige Informationen zu der Insel auf albem Weg zwischen den Philippinen und Hawai geben.

Entdeckung und Beherrschung

Die Lage von Guam in den Marianen (Google Earth)

Guam wurde vermutlich schon 2000 Jahre v. Chr. von Westen, also von den heutigen Philippinen oder von Indonesien aus, besiedelt. Als erster europäischer Seefahrer gelangte Ma­gellan 1521 zum Marianenarchipel. Da er bei seinem Kontakt mit den Einheimischen die Erfahrung machte, dass es ihnen immer wieder gelang, auf sehr geschickte Weise ihnen besonders wertvoll erscheinende Gebrauchsgegenstände zu sti­bitzten, nannte er die Inselgruppe „Las Islas de los Ladrones“ (Inseln der Diebe). 1565 wurden die Inseln von Miguel López de Legazpi für Spanien beansprucht, aber erst hundet Jahre später, 1667, wurden sie offiziell der spanischen Krone unterstellt, denn sie waren eine wichtige Zwischenstation auf dem Seeweg von Acapulco in „Neuspanien“ (Mexiko) nach Manila auf den Philippinen. Zu dieser Zeit wurde den Inseln der neue Name „Marianen“ gegeben, nach Maria Anna von Österreich, der Wit­we von Spaniens habsburgischem König Philipp IV. Nach ihm konnte man die Inseln nicht mehr benennen, da schon die Philippinen nach Philipp II benannt worden waren.

1668 kamen Jesuiten auf die Inseln und begannen, den katholischen Glauben einzuführen. Die Missionsarbeit wurde von spanischen Soldaten begleitet mit der Folge, dass am Ende des 17. Jahrhunderts von der ursprünglichen Bevölkerung fast nichts mehr übrig geblieben war. Die Einwohnerzahl zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde von den Spaniern auf 40.000 bis 44.000 geschätzt; zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren es nicht mehr als 1.000!

Die unmenschliche und brutale Vorgehensweise der spanischen Eroberer und Siedler, die sich vielerorts in Neuspanien abspielte, hatte sich hier besonders schrecklich ausgewirkt, weil die Ureinwohner sich lieber umbrachten als sich zu unterwerfen.

Eine Rechtfertigung für die gnadenlose Unterwerfung der Völker in den eroberten Gebieten gaben sich die Spanier mit den Ergebnissen des Disputes von Valladolid (1550/51)7). Zu diesem Streitgespräch hatte der habsburgische Kaiser Karl V. eingeladen, weil er von dem Missionar Bartolomé de las Casas auf die unmenschliche Behandlung der Indios in den Kolonien aufmerksam gemacht worden war. Bartolomé de las Casas vertrat die Ansicht, dass auch die neu entdeckten Völker vollgültig dem Menschengeschlecht zuzurechnen wären und damit alle menschlichen Rechte hätten und dass aus diesem Grund ihre Unterdrückung, Versklavung und Ermordung nicht rechtens wären. Er plädierte dafür, die gnadenlosen Eroberungskriege in der Neuen Welt zu beenden. Demgegenüber vertrat Juan Ginés de Sepúlveda, der Erzieher des Infanten und späteren Königs Philipp II., die Auffassung, dass es sich bei den Indianern um eine sehr niedrig stehende Menschenrasse handle, die zum Sklaventum geboren wäre und keine Menschenrechte beanspruchen könne. Der Disput endete zwar nicht mit einem eindeutigen Ergebnis, letzten Endes wurden aber die Argumente von Sepúlveda als Rechtfertigung für alle zukünftigen Gräueltaten wirksam, zumal er sie auch in einem Buch veröffentlichte.

Nach der spanischen Niederlage im spanisch-amerikanischen Krieg von 1898 fiel Guam an die Nordamerikaner. Die USA wollten diese Insel vor allem wegen ihrer strategischen Lage unter ihre Kontrolle bringen. Die übrigen Marianen wurden mit dem deutsch-spanischen Vertrag von 1899 an das Deutsche Reich verkauft. Angesichts der misslichen Lage Spaniens nach der Niederlage gegen die Nordamerikaner hatte das Land kaum eine Möglichkeit, dem Druck, der durch das Deutsche Reich auf sie ausgeübt wurde, zu widerstehen. In Deutschland war der Erwerb dieser Inseln für 17 Millionen Reichsmark zwar nicht unumstritten, da sie außer Kopra keine großen Schätze zu liefern versprachen. Aber das Deutsche Reich war scharf auf eine Vergrößerung seines – so die Ansicht der damals bestimmenden Politiker – viel zu geringen Kolonialbesitzes, und dieser Kauf ermöglichte eine Arrondierung der Südseekolonien.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Inseln durch den Völkerbund unter japanischer Kontrolle gestellt. Im Zweiten Weltkrieg wurden sie von den Amerikanern 1944 in der Schlacht um die Marianeninseln unter großem Einsatz von Material und Menschen erobert. Während Guam nach dem Zweiten Weltkrieg ein von den USA abhängiges Territorium blieb, bildeten die übrigen Marianen einen an die USA angeschlossenen, aber im Inneren unter eigener Verwaltung stehenden Staat.

 

Die Braune Nachtbaumnatter

Braune Nachtbaumnatter auf Guam pirscht sich an einen Rotkehlanolis (Anolis carolinensis) an. Dieser Anolis stammt ursprünglich aus dem Südosten der USA und wurde ebenfalls auf Guam eingeführt (Thomas H. Fritts and Dawn Leasman-Tanner/U.S. Geological Survey)

Guam ist in der Gegenwart durch die Ausbreitung invasiver Neozoen, also eingebürgerter fremdländischer Tierarten, bekannt geworden, die auf vielen pazifischen Inseln vergleichbar abgelaufen ist. Dabei spielt auf Guam vor allem die Braune Nachtbaumnatter (Boiga irregularis) eine wichtige Rolle. Sie wurde kurz nach dem Zweiten Weltkrieg – vermutlich Ende der 1940er-Jahre – zufällig mit einem Militärtransport aus ihrem natürlichen, südpazifischen Verbreitungsgebiet auf die Insel gebracht. Die auf Guam für diese Art äußerst günstigen Lebensbedingungen – keine Feinde, keine Konkurrenten und ein reichliches, leicht zugängliches Nahrungsangebot – führten zu einer Massenvermehrung. Es wurden bis zu 13.000 Tiere pro Quadratkilometer gezählt.

Die Folge ist, dass mittlerweile fast alle einheimischen Wirbeltiere ausgerottet sind. Zunächst  war vor allem die Avifauna betroffen. Auch für Menschen, Haus- und Heimtiere bedeutet die giftige Trugnatter eine Gefahr. Touristen fühlen sich durch die Baumnattern bedroht. Die Ausrottung der Vögel hat auch Auswirkungen auf den Regenwald, da die Ausbreitung von Früchten und Samen vorwiegend von Vögeln abhängig war.

Eine Folge ist die schlechtere Regenerationsfähigkeit der Wälder – vor allem nach Bränden. Der Rückgang der Wälder bewirkt eine verstärkte Erosion, und von den Flüssen werden mehr Partikel ins Meer transportiert. Durch die dadurch erhöhte Sedimentation sind die empfindlichen Korallenriffe um Guam gefährdet. Die derzeitige geringe Bewaldung ist auf der Google Earth Aufnahme vom 20.11.2016 gut zu erkennen

Die mysteriöse Nervenkrankheit von Guam

Ungewöhnlich viele Bewohner dieses kleinen Südsee-Eilands sterben an einer mysteriösen Nervenkrankheit mit Symptomen von Amyotropher Lateralsklerose, Parkinson-Syndrom und Alzheimerscher Krankheit, dem sogenannten „Guam-ALS-PD-Demenzkomplex“ (ALS/PDC). Lange blieben die Ursachen im Dunkeln und waren umso geheimnisvoller, als ausgewanderte ehemalige Inselbewohner oft Jahre, nachdem sie die Insel verlassen hatten, erkranken konnten. Erst in jüngster Zeit haben sich die seltsamen Zusammenhänge aufgeklärt: Auf der Insel gedeiht die Cycadee Cycas micronesica, ein palmenähnlicher Baum, der wie die Nadelgehölze zu den Nacktsamern gehört. Seine essbaren Samen enthalten in geringen Mengen eine giftige Aminosäurevariante (β-Me­thyl­amino-L-Alanin, BMAA). Allerdings sind die Konzentrationen so gering, dass man sich eine gefährliche Auswirkung bei dem Verzehr der Samen zunächst nicht vorstellen konnte. Nun ist es aber so, dass sich von diesen Samen vor allem Flughunde ernähren, die bei den einheimischen Chamorros als Leckerbissen gelten. Diese Flughunde, von denen es früher mehrere Arten gab, heute aber nur noch Pteropus mariannus, sind die einzigen wirklich einheimischen Säugetiere der Insel. In den Flughunden, so stellte man fest, tritt diese gefährliche Aminosäure in höheren Konzentrationen auf. Es kommt also zu einer Anreicherung. Und ähnliche Anreicherungen konnte man auch in den Geweben von verstorbenen ALS/PDC-Patienten feststellen.

Weitere Nachforschungen ergaben, dass diese seltene und von Eukaryoten nicht produzierbare Aminosäure von den endosymbiotischen Cyanobakterien von Cycas micronesica stammt. Denn wie alle Palmblatt-Nacktsamer beherbergt diese Cycadee solche, den Luftstickstoff fixierenden Symbionten (Cyanobacterien der Gattung Nostoc) in besonderen, an der Bodenoberfläche gebildeten, korallenartig verzweigten Wurzeln. Damit ist die Kette der Giftweitergabe (Cyanobakterium – Palmfarn – Flughund – Mensch) aufgeklärt. Doch wie kommt es zur Anreicherung?

Bei der Verdauung werden alle Eiweiße in Aminosäuren gespalten und als solche resorbiert. Später werden sie jedoch wieder in Proteine eingebaut. Dies gilt auch für abnorme Aminosäuren, sie können in „normale“ Körperproteine eingebaut werden. Dies trifft offensichtlich auch für BMAA zu. In Proteinen ist BMAA ungefährlich. Lediglich, wenn es frei im Blut und in Körperflüssigkeiten vorkommt, kann es zu der beschriebenen Nervenkrankheit kommen. Der Gehalt in den Körperproteinen, insbesondere im Gehirn, nimmt allmählich zu. Offensichtlich steigt parallel dazu der BMAA-Pegel im Blut immer mehr an. Dies lässt sich mit dem ständig stattfindenden Proteinumsatz im Organismus erklären. Bei einem entsprechend hohen BMAA-Depot kommt es dann – oft erst nach vielen Jahren – zu der Erkrankung.

Die Wirkungskette, die zur Guam-Nervenkrankheit führt (Grafik W. Probst)

Mariana Islands Training an Testing Study Area

Guam und die etwas selbstständigeren Nördlichen Marianen stehen unter Kontrolle der USA . Die Inseln sind – wie seit den Drohungen des nordkoreanischen Diktators Kim Yong-un einer breiten Öffentlichkeit bekannt – ein groß ausgebauter Militärstützpunkt der USA. Weniger bekannt ist, dass sie auch ein wichtiges militärischen Übungsgelände sind, das in den nächsten Jahren noch zur Mariana Islands Training an Testing Study Area ausgebaut werden soll. Die marianische Bürgerinitiative Alternative Zero Coalition (AZC) versucht, diesen Ausbau zum Großübungsareal abzuwenden und sie verdient Unterstützung (www.chamorro.com ).  Seit ihrer Entdeckung im 16. Jahrhundert  wurden die Bewohner der Marianen immer wieder Opfer von Großmachtinteressen, sie wurden versklavt, ermordet, vertrieben. Die jüngste Eskalation den“Nordkoreakonflikts“ könnte sich wieder zu einer Katastrophe für diese Inseln entwickeln, auch wenn die Weltkatastrophe vielleicht ausbleiben wird.

Das geplante militärische Übungsgelände um die Marianen (aus der Website von AZC www.chamorro.com )

Quellen

Der Text ist teilweise übernommen aus

Probst, W. (2015): Der Palme luftge Krone – mit Chamisso auf Weltreise. Ochsenhausen: Anglele-Verlag

URLs:

https://de.wikipedia.org/wiki/Guam

http://gaebler.info/sonstiges/marianen.htm

https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article167523613/Die-Bedeutung-der-Insel-Guam-fuer-die-US-Strategie.html

https://www.blick.ch/news/ausland/irrer-kim-droht-mit-rakentenangriffen-so-reagieren-die-bewohner-auf-guam-id7126150.html