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Drei Partner -Flechten sind Trippelorganismen

Ein Organismus höheren Ranges

„Da mengen sich alle Farben wie auf der Palette des Malers, mit der ein solcher mit Krustenflechten besiedelter Felsblock von weitem entschieden Ähnlichkeit hat. Bald gelb gleißend wie mit Gold überzogen, daneben wieder schimmerndes Silber, oder düsterer Schmuck wie Tulametall, hier sanftes Grau, dort zartes Grün und das leuchtendste Braunrot, alles besetzt mit allerliebsten Näpfchen und Schüsselchen, dazu eine Formenfülle, die im bloßen Nachbilden und Beschreiben zum Künstler macht. Das ist die Flechtenwelt. Und diese ganze Flechtenwelt entsteht aus einzelligen oder Fadenalgen, die es wagten, sich vom Wasser in die Luft zu begeben, weil sie durch treue Genossen, durch ein zartes Gespinst von Pilzfäden vor der tödlichen Austrocknung bewahrt werden. Ein neues und vielleicht noch vollkommeneres Wunder als die Transsubstantiation durch die Verdauung! Zwei einfache, für sich alleine unsichtbare oder kaum nur als grüner Staub und weißer Schimmel sichtbare lebende Wesen gründen eine Ernährungsgenossenschaft; der Pilz baut ein Häuschen, die Alge schlüpft hinein, und dies erzeugt einen Organismus höheren Ranges als alle beide für sich alleine waren.“

So begeistert beschrieb Raoul Heinrich Francé (1874-1943) vor mehr als 100 Jahren die Flechtensymbiose, die er als „Lichenismus“ bezeichnete. Er schrieb dies 1906, im ersten Band des von ihm begründeten achtbändigen Werk „Das Leben der Pflanzen“, das seinerzeit auch als der „Brehm der Pflanzenkunde“ bezeichnet wurde. Francé, vielseitiger Naturwisseenschaftler, Pionier der Bodenkunde, von dem der Begriff „Edaphon“ für die Gesamtheit der Bodenorganismen eingeführt wurde, lange zu Unrecht in Vergessenheit geraten, wurde in letzter Zeit als ein Vater der Biotechnologie wiederentdeckt. Er hat schon vor 100 Jahren darauf hingewiesen, dass viele Prinzipien menschlicher Erfindungen im Tier – und Pflanzenreich schon vorhanden sind und dass daher technische Probleme durch Erforschung und Anwendung biologischer Vorbilder lösbar wären.

Als er seine blumige Schilderung der Flechtensymbiose verfasste, lag die entscheidende Entdeckung Anton De Bary‘s (1831-1888) schon 40 Jahre zurück. 1866, vor 150 Jahren, konnte dieser Botaniker und Mykologe nachweisen, dass Gallertflechten eine Symbiose aus Blaugrünen Bakterien und Pilzen darstellen. Der Schweizer Botaniker Simon Schwendener (1829-1919) sprach dann 1869 die Vermutung aus, dass auch die übrigen Flechten aus Algen und Pilzen bestünden. Ernst Stahl (1848-1919) gelang es 1877 zum ersten Mal, aus Sporen ei­nes Flechtenpilzes nach dem Zusammentreffen mit dem Algenpartner wieder eine neue Flechte zu „synthetisieren“. Doch solche Flechtensynthesen im Labor sind bis heute problematisch. Selten gelingt und gelang es auf diese Weise, die typischen Flechtenthalli zu produzieren.

Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass die „Flechtensymbiose“ in vielen Fällen komplizierter ist, als es zunächst den Anschein hatte. So kommen oft mehr als zwei Partner vor, in vielen Fällen zum Beispiel als zweiter fotosynthetisierender Partner ein  Cyanobakterium. Außerdem sind alle Übergänge von einer mehr mutualistischen, also zum gegenseitigen Vorteil gereichenden Beziehung, bis zu einer einseitigen parasitischen Beziehung möglich.

Die neue Entdeckung: ein weiterer Pilzpartner

Im Jahre 2016 konnte ein Forscherteam unter Federführung von Toby Spribille nachweisen, dass die Wissenschaft 150 Jahre lang übersehen hatte, dass es bei Flechten häufig (fast immer? meistens?, manchmal?) einen zweiten Pilz als Symbiosepartner gibt. Für eine gelungene Flechtensynthese muss vermutlich auch dieser dritte Partner zugegen sein.

Und das ist zusammengefasst die Geschichte dieser bemerkenswerten Entdeckung: In den Bergwäldern Montanas kommen zwei Arten der Bartflechtengattung Bryoria, nämlich Bryoria tortuosa und Bryoria fremontii, vor, die genau aus denselben Pilz- und Algenpartnern bestehen. Aber während B. fremontii bräunlich gefärbt ist, hat B. tortuosa eine auffällig grünlich gelbe Färbung, die auf die reichliche Produktion von giftiger Vulpinsäure zurück zu führen ist. Da sich auch genetisch (im Transkriptom) bei den Schlauchpilzen und den Algen der beiden Arten keine Unterschiede feststellen ließen, war diese sehr unterschiedliche Produktion der Vulpinsäure nicht zu erklären.

Die Wolfsflechte (Letharia vulpina), eine relativ häufige Flechte der Alpenregion, bildet viel giftige Vulpinsäure und hat einen zweiten Basidiomyceten als Symbionten (Foto Probst)

Die Wolfsflechte (Letharia vulpina), eine relativ häufige Flechte der Alpenregion, bildet viel giftige Vulpinsäure und hat einen zweiten Basidiomyceten als Symbionten (Foto Probst)

Erst als die Forscher ihre molekulargenetischen Untersuchungen auf alle Pilze ausdehnten, konnten sie in Transkriptomen von Bryoria tortuosa vermehrt bestimmte der Ständerpilzgattung Cyphobasidium zuordenbare Sequenzen finden. Daraus folgerten sie, dass die Produktion von Vulpinsäure mit der Vergesellschaftung eines weiteren Pilzpartners mit der Flechte in Verbindung steht. Bei molekulargenetischen Untersuchungen an zahlreichen weiteren Flechtengattungen konnten die Forscher für 52 weitere Gattungen die Gegenwart solcher Basidiomyceten nachweisen, 42 davon gehören zur Familie der Parmeliaceae. Gleichzeitig stellte sich dabei heraus, dass es sich bei den beteiligten Pilzen aus der Verwandtschaft Cyphobasidium jeweils um unterschiedliche gattungsspezifische Arten handeln dürfte. Die Forscher zogen aus den genetischen Daten die Schlussfolgerung, dass die Aufspaltung dieses Artenschwarmes vor etwa 200 Millionen Jahren begann, etwa gleichzeitig mit der Differenzierung der Hauptgruppen der Flechtenpilze aus dem Phylum Lecanoromycetes. Daraus kann man ableiten, dass diese Dreierbeziehung erdgeschichtlich schon sehr lange besteht.

Cyphobasidium ist eine erst 2015 beschriebene Gattung aus der großen Gruppe der Rostpilzverwandten (Pucciniomycetes), die meistens in einer hefeartig knospenden einzelligen Form auftritt und nur selten Basidien bildet. Solche Basidien wurden in gallenähnlichen Auswüchsen von Flechten der Gattungen Parmelia und Usnea gefunden.

Die Dreifachsymbiose der Wolfsflechte (Letharia vulpina)

Die Dreifachsymbiose der Wolfsflechte (Letharia vulpina)

Die Schwierigkeiten, aus Pilz – und Algenpartner im Labor eine Flechte zu synthetisieren könnten sich damit erklären, dass für die richtige Ausbildung der Flechtenform auch der zweite Pilzpartner notwendig ist. Dass man diesen dritten Partner bisher nicht entdeckt hatte, liegt vermutlich auch daran, dass er mikroskopisch ausgesprochen schwer zu erkennen ist. Erst durch farbliche Markierung entsprechender RNA-Abschnitte konnten Spribille und sein Team auch mikroskopische Bilder gewinnen, aus denen die Lage dieses zweiten Pilzes im Flechtenthallus zu erkennen ist. Er ist in der äußeren Rindenschicht zu finden, die häufig aus einer Auflage extrazellulärer Zuckermoleküle zusammengesetzt ist. Die Abbildung zeigt, wie man sich die Lage der Basidiomycetenpilze in den Thalli der verschiedenen Flechtenformen vorstellen kann.

Lebensformen der Flechten, gelbe Flecken markieren die hefeartigen Basidiomyceten

Lebensformen der Flechten, gelbe Flecken markieren die hefeartigen Basidiomyceten

Das Ganze ist mehr als seine Teile

„Lichens were one of the earliest described symbioses and remain one of the most poorly understood. In essence, they are self-assembling and self-replicating microbe communities: none of the components of the lichen symbiosis, on their own, form anything that resembles the lichen“ schreibt der Flechtenforscher Toby Spribille auf seiner lesenswerten Homepage (http://tobyspribille.weebly.com/ )

Dieser Selbstzusammenbau der Mikrobengemeinschaft „Flechte“ ist etwas besonderes. Denn äußerlich ähneln die vielen verschiedenen Flechten, anders als bei anderen Symbiosen, keinem der beiden sie aufbauenden Partner. Auch über die gestaltliche Eigenständigkeit hinaus sind  Flechten durch zahlreiche charakteristische Leistungen ausgezeichnet. Man kann deshalb von einer neuen morphologischen, physiologischen und ökologi­schen Ein­heit sprechen. Die rätselhaften Leistungen der „Doppelorganismen“ bekommen durch ihre Entlarvung als „Trippelorganismen“ zwar eine neue Dimension und neue mögliche Erklärungen, sie sind aber keineswegs geklärt. Vielleicht sind die zweiten Pilzpartner in vielen Fällen für die Bildung der besonderen Flechtenstoffe wie Vulpinsäure, Lackmusfarbstoff, Lecanorsäure oder Parietin verantwortlich, aber was steckt hinter den flechtentypischen Verbreitungseinheiten? Soredien

Sordien und Isidien, gemeinsame Fortpflanzungseinheiten von Pilz und Alge - sind die Hefen auch mit dabei?

Sordien und Isidien, gemeinsame Fortpflanzungseinheiten von Pilz und Alge – sind die Hefen auch mit dabei?

sind winzige Konglomerate aus einigen Algenzellen und Pilzhyphen, die in speziellen Organen, den Soralen, gebildet werden und die an Sporenbildu8ng erinnern. Isidien sind stiftartige Auswüchse des Flechtenthallus, die Pilz- und Algenpartner enthalten und leicht abbrechen und der Verbreitung dienen – ähnlich wie Brutkörper oder Bruchblätter bei Moosen. Ist der Basidiomyctenen-Hefepilz auch schon in den Soredien enthalten? Bei den Isidien scheint das sehr wahrscheinlich.

Flechten sind hochentwickelte Biofilme

Dass Mikroben  komplexe Aggregate bilden können, beweisen die weit verbreiteten aber lange Zeit wenig erforschten Biofilme. Sie bestehen aus einer mehr oder weniger dicken, Oberflächen überziehenden Schleimschicht, in der Mikroorganismen wie Bakterien, Algen, Pilze und Protisten eingebettet sind. Sie siedeln sich in der Regel an Grenzflächen an, zwischen Gas- und Flüssigphase (Kahmhaut), zwischen Flüssig – und Festphase (Schleimbelag auf Steinen am Gewässergrund) oder auch zwischen verschiedenen flüssigen Phasen. In diesen Biofilmen findet ein Stoff- und Signalaustausch zwischen den verschiedenen Organismen statt, der dem Erhalt und der Vermehrung des Gesamtsystems dient. Solche Biofilme kommen überall vor, in Böden, auf Gesteinen, an Pflanzen und auf Schleimhäuten von Tieren, im Eis von Gletschern, in heißen Quellen. an Felswänden und in Wüstenböden. Sie besitzen sie eine große ökologische Bedeutung, denn sie stabilisieren Oberflächen, mobilisieren Stoffe aus Mineralien, binden Kohlenstoffdioxid und Luftstickstoff. Man kann annehmen, dass sie entscheidende Vorläufer bei der Besiedelung des Festlandes waren (vgl. Nostoc – der ältest Landbewohner?) Flechten sind eine spezielle und besonders erfolgreiche Form solcher Mikrobenmatten.

Literatur

Francé, R. H. (1906): Das Pflanzenleben Deutschlands und seiner Nachbarländer. Kosmos,Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart  (S.352 ff)

Spribille, T. et al. (2016): Basidiomycete yeasts in the cortex of ascomycete macrolichens. Science Vol.353,Issue 6298, pp.488-492